Geschichte
Das Landschaftsgefüge von Nordhorn wurde vor Jahrmillionen durch Klimaveränderungen, vor allem durch die Eiszeiten, geprägt. Die ältesten Ablagerungen in ungefähr zweitausend Meter Tiefe stammen aus dem Karbon. Zur Wende von Kreide und Tertiär formierte sich die Erdkruste hier zu kleineren Faltenwürfen. Im mittleren Tertiär herrschten in der Nordhorner Ebene subtropische Temperaturen. Danach begann eine zunehmende Abkühlung, die mit den Eiszeiten ihren Höhepunkt erreichte. Nach dem Abtauen des letzten Eises hatten sich Niederungen herausgebildet. Starke Winde wehten in der vegetationsfreien Oberfläche Dünen auf. Noch heute findet man bei den naheliegenden Tillenbergen die Reste eines solchen Dünenkomplexes. Grabungsfunde aus der jüngeren Steinzeit und der folgenden Bronzezeit bezeugen, dass sich bereits vor sechstausend Jahren Menschen auf der Nordhorner Sandebene angesiedelt hatten.
In der regenreichen und kälteren Eisenzeit dehnt sich die Besiedlung auf die trockenen Uferhöhen der Vechte aus. Der Archäologe stößt in fast allen Eschen auf Spuren eisenzeitlicher Siedlungen, den Grundsteinen für späteren Bauernschaften Frensdorf, Bookholt, Altendorf, Hesepe und Bakelde.
Von 12 v. Chr. bis 10 n. Chr. unternahmen die römischen Feldherren Drusus, Tiberius, Germanicus und Varus insgesamt dreizehn Feldzüge in das damals noch freie Germanien. Von ihrem Lager Xanten aus werden diese römischen Truppen häufig Streifzüge in die Länder der Chamaven und Tubanten, der Bewohner des Nordhorner Siedlungsraumes, unternommen haben. Vermutlich benutzten die Römer die vorgeschichtlichen Vechteufer und Sandstege entlang der Moore als Heerstraßen. Diese Landverbindung vom Westen nach Osten sollte später eine wichtige Handelsstraße werden, die Städte wie Brüssel, Amsterdam, Bremen und Hamburg verband.
Gegen Ende des 4. Jahrhunderts, mit Beginn der Völkerwanderung, drangen von Norden her die Sachsen nach Westen vor. Sie verdrängten die Tubanten weiter westwärts in die Twente. Nach Eroberung des Sachsenlandes durch Karl den Großen entstand die erste Grenzlinie zwischen Franken und Sachsen als Binnengrenze. Sie überdauerte weitgehend die Wechselfälle der Geschichte und ist noch heute Grenze zu den Niederlanden.
Im Jahre 687 sandte Bischof Wilfrid von York zur Christianisierung des ehemaligen Tubantenlandes Missionare über den Ärmelkanal. Willibrord gründete die Diözese Utrecht und Werenfried verbreitete das Christentum im Vechtetal. Um 800 wurde die Nordhorner Siedlung dem Bistum Münster zugeordnet. Bischof Liudger baute auf einem vorspringenden Sporn in der Vechteaue eine Holzkirche. Um 900 wird der Name der Siedlung erstmals im Heberegister des Klosters Werden an der Ruhr als Northhornon erwähnt.
Um das Jahr 1180 erwarben die Grafen von Bentheim das Gogericht Nordhorn. Sie bauten inmitten der Vechte auf einer Insel eine Burg. Bis zum Jahre 1912 waren Teile dieser Burg erhalten. Dort steht heute die katholische St.-Augustinus-Kirche. Mit Hilfe des künstlich angelegten Mühlendamms und zweier Mühlen gelang es, den Wasserstand der Vechte zu regulieren und die Insel zu besiedeln. Es wurden - vermutlich unter dem Einfluss niederländischer Wasserbauer - weitere Grachten angelegt, die sogenannten "Binnenvechten", die die Insel nochmals in vermutlich sechs kleinere Inseln unterteilten. Mit dem Bau zweier Torbrücken und im Schutze der Wasserburg ließ sie sich leichter gegen Angreifer verteidigen als die alte Siedlung um die Marktkirche. Die heutige Hauptstraße dürfte schon damals über die Vechteinsel geführt haben, die sich nun zu einem attraktiven Handelsplatz entwickelt hatte. Kaufleute und Reeder ließen sich hier nieder – ein Marktplatz entstand. Der Name Nordhorn wurde fortan für die an der Schwelle zur Stadt stehende neue Siedlung verwendet, während die alte Siedlung um die Marktkirche das "Alte Dorf" genannt wurde und bis heute Altendorf heißt.
Nordhorn hatte eine Schlüsselstellung an der Flämischen Straße, dem Kreuzungsbereich der heutigen Bundesstraße 213 und der Bundesstraße 403 eingenommen. Waren und Güter aus Skandinavien und den Hansestädten fanden ihren Weg durch Nordhorn in die Handelszentren des Westens bis nach Paris.
Die Vechte war bereits ab Schüttorf schiffbar.
Durch den Handel beider Dörfer und dadurch, dass die Binnenschiffer ein Horn bei Nebel benutzten, um sich gegenseitig zu warnen, kann Nordhorn seinen Namen erhalten haben. Seit den 1970er Jahren steht beim alten Hafen der Tuter, ein bronzenes Denkmal, das an die Anfänge der Binnenschifffahrt erinnert. Heinrich Specht sieht es in seiner Stadtchronik von 1941 dagegen als wahrscheinlicher an, dass sich der Name Nordhorn von dem zuerst besiedelten Landsporn, der von Norden wie ein Horn in das Vechtetal hinneinragte, ableitet.
Die Vechte ist ca. 167 km lang und hatte im Mittelalter einen direkten Zugang zum Meer: Sie floss bei Zwolle in die Zuiderzee, die damals noch nicht von der Nordsee abgetrennt war und viele Jahrhunderte das Zentrum des niederländischen Seehandels bildete. Nach den Landgewinnungsmaßnahmen der Neuzeit fließt sie heute nördlich von Zwolle ins Zwarte Water, einem Zufluss des nach dem Bau des Abschlussdeichs aus der Zuiderzee entstandenen Ijsselmeeres.
Schon 1160 wurden die ersten Bentheimer Sandsteine in die Niederlande verschifft. Bis zu eintausendzweihundert Frachtkräne, Prahme und Schuten lagen in einem Jahr hier vor Anker und brachten ihre Güter nach Holland. Zum Stapelplatz wurde die Steinmaate. Die gleichnamige Straße erinnert noch heute daran, dass der Bentheimer Sandstein von hier aus in viele Länder exportiert wurde. So wurden zum Beispiel für Prachtbauten wie das Königliche Palais in Amsterdam, aber auch viele Mühlen, Kirchen, Schleusen, Rathäuser und andere öffentliche Gebäude aus dem bekannten Bentheimer Sandstein verbaut. Die zurückkehrenden Schiffe brachten Gewürze, Textilien, Papier sowie Nahrungs- und Genussmittel wie Kaffee, Tee, Kakao und Tabak mit. Handel, Handwerk und Landwirtschaft waren bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die wesentlichen Wirtschaftsgrundlagen in der Region. Die Schifffahrt auf der Vechte, dem Ems-Vechte-Kanal, Nordhorn-Almelo-Kanal, dem Süd-Nord-Kanal und Coevorden-Piccardie-Kanal, bildeten gemeinsam mit dem Fuhrwesen zu dieser Zeit wichtige Erwerbszweige. Die Stadt war in jenen Jahrhunderten der Sitz wohlhabender Kaufleute, Reeder und Schiffer.
Am neunten Tag nach Pfingsten im Jahre 1379 verlieh Graf Bernhard I. zu Bentheim die Rechte einer Stadt und gab ihr 1416 das Privileg. Die dörfliche Siedlung zwischen den Vechtearmen war als Handelsumschlagplatz für die Bentheimer Grafen wichtig geworden. Mit der wirtschaftlichen Blüte erreichte auch das kulturelle Leben in diesen Jahren einen Höhepunkt. Augustiner-Chorherren gründeten 1394 das Kloster Marienwolde in Frenswegen. Durch Stiftungen und Schenkungen wurde das Kloster als Paradies Westfalens über die Grenzen bekannt. Nach der Säkularisation 1806 durch Napoleon gingen die klösterlichen Anlagen und Ländereien in den Besitz des Grafen zu Bentheim über. Die Jahrtausende umfassende Besiedlung und die bisher 625-jährige Geschichte der Stadt haben neben dem Kloster Marienwolde nur noch wenige bauliche Zeugen aus alter Zeit hinterlassen.
In Anlehnung an die spätromanischen Kirchen im benachbarten Westfalen wurden im 13. Jahrhundert Kirchen aus Bentheimer Sandstein errichtet. Einzig erhaltenes Kunstwerk dieser Zeit ist der Brandlechter Taufstein. Zeuge des 15. Jahrhunderts ist die Alte Kirche am Markt. Sie wurde unter niederländischen Einfluss im spätgotischen Stil erbaut und zu Ehren des hl. Liudger, des Gründers der ersten Kirche in Nordhorn, geweiht. Wahrscheinlich arbeiteten drei Generationen an dieser eindrucksvollen dreischiffigen Hallenkirche. Ursprünglich hatte der Turm eine Höhe von 102 Metern und fiel als Wach- und Brandturm unter die Verantwortung des Rates der Stadt. Bei einem schweren Sturm stürzte die Turmspitze auf den sich vor dem Gebäude befindenden Marktplatz. Die neue Spitze war wesentlich niedriger (ca. 70 Meter) und winddurchlässig. Bei einer Restaurierung des Innenraums der Kirche im Jahre 1967 wurden im Chorraum gotische Wandmalereien freigelegt – die „Nordhorner Apostelbilder“. Sie zeigen die zwölf Apostel und verschiedene biblische Bilder. Die Malereien wurden konserviert, weil man sich nicht einigen konnte, was mit ihnen geschehen sollte, da nach der calvinistischen Kirchenordnung des reformierten Bekenntnisses, das 1588 vom Grafen Arnold II. zu Bentheim eingeführt wurde, auf Bilder und Schmuck in Kirchenräumen zu verzichten ist. Bei einer Renovierung Ende der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurden diese Bilder wiederentdeckt und der Kirchenrat entschied, die Bilder mit Reispapier abzudecken, da sie als zu wertvoll erschienen, um sie einfach zu überstreichen.
Durch Kriege und Epidemien stark dezimiert, musste die Stadt im 17. und 18. Jahrhundert mehrere Besetzungen und Truppendurchzüge erdulden. Im 80-jährigen Freiheitskampf der Niederländer gegen die Spanier war Nordhorn Durchgangsstation für spanische Truppen, da die benachbarte Grafschaft Lingen zum spanischen Territorium gehörte. Zeitweise soll der Prinz vom Parma mit 6.000 Soldaten um Nordhorn gelagert haben.
Während des Dreißigjährigen Krieges zogen Schweden, Hessen, Lüneburger und kaiserliche Truppen über die alte Flämische Heer- und Handelsstraße durch Nordhorn – alle wollten aus den kärglichen Ernteerträgen verpflegt werden. Der ausgebeuteten Stadt blieb jedoch kaum Zeit, sich von den Kriegswirren zu erholen. Schon wenige Jahre später führte der streitbare Bischof Christoph Bernhard Graf von Galen aus Münster in der Ebene vor Nordhorn gegen die Niederländer einen Krieg, der 1666 mit dem Nordhorner Frieden endete.
Zur Zeit Napoleons herrschte in Nordhorn erneut geschäftiges Treiben. In diesen Jahren wuchs der Handelsplatz an der Vechte, zwei Häfen bestimmten das Bild der Stadt. Die gegen den englischen Handel gerichtete Kontinentalsperre Napoleons ließ Nordhorn ab 1806 zu einem Zentrum des Schmuggels werden. Die weiten Moor- und Heideflächen begünstigten diesen einträglichen Handel.
Infolge der Neuordnung der politischen Landschaft Europas durch den Wiener Kongress 1814/15 kam der bis zu diesem Zeitpunkt florierende Transithandel in Nordhorn abermals zum Erliegen. Die Staatsgrenze wurde Zollgrenze, womit man dem nach Westen orientierten Nordhorner Handel seine Grundlagen entzog. In den Folgejahren verarmte die Stadt. Da die Vechte nicht zeitgemäß ausgebaut werden konnte und versandete, kam zudem der Schiffsverkehr zum Erliegen. Die Städter wurden zu Ackerbürgern, Händler und Spediteure verließen Nordhorn. Nur die Heimweberei brachte noch Verdienstmöglichkeiten, ganze Familien wanderten nach Amerika aus.
Das Jahr 1839 gilt als Gründungsjahr der Nordhorner Textilindustrie. An der Handelsstraße entstand die erste mechanische Schnellweberei durch Willem Stroink aus Enschede. Hier wurde Baumwolle verarbeitet, Kattun und Watertwist gewebt. Weitere Betriebe gründeten 1864 Jan van Delden und 1851 Josef Povel und Hermann Kistemaker. Die Textilherstellung wurde zum Schrittmacher für die darniederliegende Wirtschaft. Der Fortschritt hielt mit zunehmender Industrialisierung Einzug. Der Grundstein für die Entwicklung zu einer der größten deutschen Textilstädte war gelegt.
Bürgermeister der Stadt war von 1843 bis 1872 der Apotheker und Chemiefabrikant Ernst Firnhaber, dessen Haus in der Hauptstraße im Mittelpunkt des damaligen gesellschaftlichen Lebens stand. Mit seinen klassizistischen Bauelementen ist es das letzte architektonische Beispiel eines herrschaftlichen Bürgerhauses aus dem 18. Jahrhundert. Hinter der Apotheke richtete er die erste Chininfabrik Deutschlands ein. 1843 wurden 32.403 Pfund Chinarinde verarbeitet und exportiert. Die Fabrikanten Ludwig Povel, Bernhard Rawe, Bernhard Niehues und Friedrich Dütting gründeten in den Jahren von 1872 bis 1897 weitere Textilunternehmen, die zum Teil bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch den inländischen und internationalen Markt beliefern.
In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde Nordhorn in ein Netz von künstlichen Wasserstraßen einbezogen. Über die Ems, den Dortmund-Ems-Kanal und den Ems-Vechte-Kanal transportierte man die Kohle aus dem Ruhrgebiet in das aufstrebende Textilzentrum. Mit dem Nordhorn-Almelo-Kanal sorgte man für den Anschluss an das niederländische Wasserstraßennetz, und mit dem Bau des Nord-Süd-Kanals wurde der Torfhandel belebt. Wenn auch heute sämtliche Kanäle für die Nutzschifffahrt keine Bedeutung mehr haben, so ist ihr Freizeitwert jedoch hoch einzuschätzen.
Die Bentheimer Eisenbahn brachte 1895 den Eisenbahnanschluss an das internationale Netz. In den verschiedenen Textilfirmen fanden in diesen Jahren etwa eintausendfünfhundert Menschen Beschäftigung. Die Weltwirtschaftskrise in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts ließ viele Arbeitssuchende aus allen Gegenden des Deutschen Reiches ihren Weg nach Nordhorn finden. Bis 1939 erhöhte sich die Zahl der Einwohner Nordhorns auf 23.457; dabei ist auffällig, dass nur knapp ein Drittel der Einwohnerschaft in Nordhorn geboren wurde. Der ungewöhnliche wirtschaftliche Aufstieg trug Nordhorn in diesen Jahren den Beinamen Klein Amerika ein.
Auch das Dritte Reich hinterließ in Nordhorn seine Spuren. Die kleine jüdische Gemeinde wurde zerschlagen. Die Synagoge wurde völlig zerstört, woran eine Gedenktafel in der Synagogenstraße erinnert. Die alte Flämische Handelsstraße wurde von den deutschen Truppen, die am 10. Mai 1940 in die Niederlande einmarschierten, als Heerstraße genutzt. Teile der Bevölkerung erlebten diese Zeit mit sehr gemischten Gefühlen – war man doch durch verwandtschaftliche und freundschaftliche Bande über die Grenze hinweg mit den holländischen Nachbarn verbunden. Auf diese Verbindung konnten besonders die Verfolgtenhilfe und die Widerstandsbewegungen bauen. Adolf Pazdera und Ferdinand Kobitzki, Nordhorner KPD - Funktionäre und Gewerkschaftssekretäre, wurden mehrfach verfolgt und 1943 bzw. 1944 in KZs ermordet.
Nach Kriegsende kamen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten nahezu zehntausend Menschen nach Nordhorn, die hier eine neue Heimat fanden. Die Stadt zählte bald schon über 40.000 Einwohner. Ein neuer Stadtteil mit ca. 13.000 Einwohner, die Blanke, entstand.
Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften und Privatinitiativen machten Nordhorn zur Stadt der Eigenheime. Die enormen Aufbauleistungen verlangten auch eine Vergrößerung und Modernisierung der kommunalen Verwaltung – Nordhorn baute ein neues Rathaus; Gebäude der Kreisverwaltung, des Arbeitsamtes und des Amtsgerichtes entstanden am Stadtring.
Das neue Amtsgericht steht nun in der Seilerbahn.
Das erste Hallenschwimmbad Nordwestdeutschlands nach 1945 konnte eingeweiht werden, neue Schulen, Sporthallen und -plätze, der Konzert- und Theatersaal und der Stadtpark führten zur Belebung des Stadtbildes.
Basierend auf dem Artikel Nordhorn der freien Enzyklopädie Wikipedia unter der GNU Free Documentation License.
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